Wie beeinflussen sich Religionen gegenseitig? Diese und ähnliche Fragen stehen im Zentrum des auf drei Jahre angelegten Vorhabens, das den historischen Verlauf von Religionskontakt und –transfer erforscht und damit dem religionswissenschaftlichen Befund Rechnung trägt, dass sich religiöse Traditionen niemals abgeschlossen, sondern stets in wechselseitigem Kontakt konstituieren und entwickeln.
Zentrale Methodik des Projektes ist die semantisch-soziale Netzwerkanalyse, mittels derer soziale Beziehungen und Netzwerke erfasst und analysiert werden, um letztlich Fragen etwa zum Informations- oder Wissensaustausch innerhalb religiöser Gemeinschaften beantworten zu können. Angesichts der Fülle religionsgeschichtlichen Quellenmaterials – im Projektzusammenhang exemplarisch ausgewertet werden ägyptische Texte, der buddhistischen Pali-Kanon sowie ostasiatisches Material – sollen bei der Analyse computergestützte Verfahren der Netzwerkanalyse zum Einsatz kommen, die es ermöglichen, wesentlich größere Datenmengen zu verarbeiten, als dies bei manuellen Verfahren der Fall ist. Im Fokus der Textanalyse stehen insbesondere semantische und soziale Elemente, die Hinweise auf Wechselwirkungen mit fremden Religionen geben. Beim buddhistischen Pali-Kanon (um 80 v.u.Z.) ist dies etwa die Erwähnung damaliger religiöser Konkurrenten wie z.B. brahmanischer Priester. In den ägyptischen Texten, die bis ins 3. vorchristliche Jahrtausend zurückreichen, geht es u.a. um mögliche Religionskontakte zu Libyern, Kuschiten, Assyrern, Persern, Griechen und Römern. Theoretisch basiert die Projektkonzeption auf der am Bochumer CERES etablierten Perspektive der relationalen Religionsforschung, die Religion als ein Geflecht aus zahlreichen Verknüpfungen versteht: Eine religiöse Tradition formiert sich durch die interne Verknüpfung von Komponenten sowie durch Beziehungen zu anderen religiösen Traditionen; und ein religiöses Feld konstituiert sich intern durch die Verknüpfung verschiedener religiöser Traditionen sowie durch Bezüge zu seiner Umwelt.
Die Entwicklung der notwendigen technischen Verfahren liegt in der Verantwortung des Trier Center for Digital Humanities (TCDH). Ziel des Trierer Teilvorhabens ist es, eine virtuelle Forschungsplattform zur Verfügung zu stellen, die den gesamten Arbeitsprozess von der Aufnahme der digitalisierten Texte über deren Analyse bis hin zur Visualisierung der Ergebnisse unterstützt. Dabei werden sowohl bereits vorhandene Werkzeuge eingesetzt und angepasst als auch neue Verfahren und Methoden entwickelt: Als integrative Basis der Plattform wird das in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Europa (FZE) entwickelte FuD-System dienen, das zunächst um Komponenten zur (halb)automatischen Textanalyse sowie zur Auswertung und Visualisierung der Arbeitsergebnisse erweitert wird. Für die Textanalyse wird ein Bündel von Verfahren aus dem Bereich des Textmining bereitgestellt, das die Bearbeiter in die Lage versetzen soll, Bedeutungsstrukturen aus schwach strukturierten Texten herauszufiltern und derart Kerninformationen zu erschließen. Eine besondere Herausforderung besteht dabei in der Anpassung und Neuentwicklung von Textmining-Methoden für die Sprachen Pali und Ägyptisch. Unterstützt werden die automatischen Verfahren außerdem durch ein Modul zur manuellen Bewertung und Nachkontrolle der berechneten Ergebnisse. Eine Graphdatenbank, die über eine passende Schnittstelle in FuD eingebunden wird, ermöglicht die effiziente Speicherung und Auswertung der Analyse-Ergebnisse. Über eine weitere Schnittstelle wird die Graphdatenbank an eine Netzwerkvisualisierungskomponente angeschlossen, um so eine leichte und augenfällige Interpretation der semantischen Relationen zu ermöglichen.
Alle im Projektverlauf entwickelten Analyseverfahren und Software-Komponenten haben generischen Charakter und werden nach ihrer Entwicklung künftiger Forschung für die Nachnutzung zur Verfügung gestellt. Überdies sollen die angestrebten Ergebnisse nicht nur die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Geisteswissenschaften und Informatik im Bereich der eHumanities stärken, sondern auch die Grundlagenforschung in den Philologien befruchten und Eingang in die universitäre Lehre finden.
Siehe auch: Forschungsnetzwerk und Datenbanksystem (FuD), Briefnetzwerk